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„Hokus Pokus Proctoring?“ – Digitale Prüfungen und deren Beaufsichtigung

Als digitale Prüfungen werden alle mündlichen und schriftlichen Prüfungsformen bezeichnet, die mit Hilfe elektronischer Systeme durchgeführt werden. Digitale Prüfungen können auf einem speziellen elektronischen Prüfungssystem und / oder mit einer Software von Drittanbietern abgelegt werden, einschließlich eines einfachen Videokonferenzsystems, wie im Fall digitaler mündlicher Prüfungen. Auch eine hybride Verarbeitung mit analogen und digitalen Werkzeugen ist möglich. Zum Beispiel bei einer papierbasierten Bearbeitung mit einer anschließenden digitalen Einreichung (Bandtel et al., 2021).

Digitale Prüfungen können in beliebigen Räumen der Hochschule, im elektronischen Prüfungszentrum oder im Homeoffice abgelegt werden. Zu diesem Zweck werden häufig von Hochschulen bereitgestellte Verarbeitungsgeräte verwendet. Auch Bring-Your-Own-Device-Szenarien (BYOD-Szenarien) sind möglich. Die Begriffe digitale Prüfung und E-Klausuren werden oft synonym verwendet, sind es aber nicht. Vielmehr bildet eine E-Klausur bspw. eine Unterkategorie des digitalen Testens. Nur wenn jede Phase des Prüfungs-Workflows nicht nur digital ist, sondern auch ein und dasselbe integrierte elektronische Prüfungssystem vorliegt, liegt nach allgemeiner Rechtsauffassung eine elektronische Klausur (E-Klausur) im engeren Sinne (Fischer, Jeremias & Niehues, 2018) vor.

E-Klausuren können wiederum mit einer Vielzahl von Softwaresystemen durchgeführt werden. Alle etablierten Lernmanagementsysteme (LMS) wie Moodle und ILIAS bieten bspw. mittlerweile für eine Vielzahl von Klausur-Aufgabenformaten entsprechende Funktionalitäten. Um Klausuren elektronisch abzuwickeln ist eine solche Plattformlösung aber nicht zwingend notwendig, aber häufig der erste naheliegende Schritt in der digitalen Transformation von analogen zu digitalen Klausuren, da Lern Management Systeme häufig durch die Lehre an Hochschulen schon im Gebrauch und etabliert sind. Die technische Durchgängigkeit zwischen Lern- und Prüfungsumgebung bei bereits etablierten LMS besticht im ersten Schritt durch einen erprobten und effizienten Ablauf für Lehrende, Studierende und zugehörige Serviceeinrichtungen. LMS sind jedoch im engeren Sinne (noch) keine elektronischen Prüfungssysteme.

Sobald es um eine rechtskonforme Abnahme digitaler Prüfungen im Sinne des Hochschulprüfungsrechts geht, kommt in der Regel ein genau dafür konfiguriertes elektronisches Prüfungssystem zum Einsatz, welches die Prüfungsphasen Vorbereitung, Durchführung, Korrektur und meist auch die Darstellung der digitalen Prüfung in gängigen Softwaresystemen abbildet. Bei einer solchen E-Prüfungssoftware werden in der Regel mehrere Aufgabenformate angeboten. Das Spektrum reicht von Single- über Multiple Choice und von offenen zu Zuordnungsaufgaben, sodass das Spektrum einer analogen Klausur gänzlich in einer digitalen Variante abgebildet werden kann.

Eine Prüfungssoftware ist also eine komplexe Anwendung, die u. a. viele technische und organisatorische Maßnahmen umsetzen muss und datenschutzrechtliche wie datensicherheits- und prüfungsrechtliche Vorgaben einhalten sollte (Persike, 2021). Damit ein E-Prüfungssystem nicht nur als Unterstützung einer „on Campus“ Klausur fungieren kann, sondern die „mobile Klausur“ ortsunabhängig ermöglicht, muss zusätzlich auch eine Schnittstelle zu einem Online-Proctoring System möglich sein.

Bei einem Online-Proctoring System handelt es sich um eine Softwarelösung, bei der digitale – zur Identitätsfeststellung und Überwachung der Klausur – z. B. Video- und Audiosignale, Bildschirminhalte und andere Daten übertragen werden. Die Hochschule kann dabei entscheiden, ob die Überwachung live, oder die Aufzeichnungen zu einem späteren Zeitpunkt gesichtet werden, oder ob eine automatische Auswertung der Daten (Sietses, 2016, S. 8) vorgenommen werden soll. Neben der reinen Überwachungsfunktion werden häufig zusätzliche Funktionen durch die entsprechenden Softwaretools angeboten, um den Inspektions-Computer zu schützen und die Nutzung anderer nicht autorisierter Quellen so weit wie möglich einzuschränken. Das Verständnis von „Proctoring“ kann daher weiter, oder auch enger definiert werden: “Online proctoring, sometimes called remote proctoring, generally refers to proctors monitoring an exam over the Internet through a webcam. It includes as well the processes, occurring at a distance, for authenticating the examinee as the person who should be taking the exam. Adding to the definition, online proctoring includes any automated processes that help to secure a test administration event.” (Foster & Layman, 2013, S. 2). Die Überwachung kann grundsätzlich in drei Kategorien unterschieden werden (Sietses, 2016, S. 7ff):

  1. Menschliche Beaufsichtigung
  2. Record and Review
  3. Automatische Beaufsichtigung durch Software

Jede Variante bietet ihre spezifischen Vor- und Nachteile und die anwendende Hochschule muss sich ihr eigenes Konzept erarbeiten, wobei auch Mischformen denkbar sind. Es wird deutlich, dass eine Implementierung von u.a. Proctoring an Hochschulen ein komplexes Unterfangen darstellt, für welches es eine personelle Verortung in der Institution nebst einer adäquaten Qualifikation benötigt. Es existieren technisch bereits funktionierende Systeme für das Proctoring von Online-Prüfungen und bei allen noch rechtlich unsicheren Sachverhalten, kann es mit einem sorgfältigen Hochschulmanagement (Brüggemann & Plath 2022) gelingen, Proctoring verantwortungsvoll zu implementieren und zu administrieren (einen ausführlichen Überblick – insbesondere zur hochschulrechtlichen Betrachtung und Implementierung liefern Brüggemann & Plath (2023).

Zu technischen, didaktischen und rechtlichen Fragen rund um das Thema „digitale Prüfungen“ steht Ihnen die NLC gerne zur Verfügung!